Mutmaßungen reichen nicht!
BayObLG, Beschl. v. 06.09.2023, Az. 202 ObOWi 910/23
Soll ein Fahrzeugführer aufgrund einer – unstreitig und unwidersprochen festgestellten – Geschwindigkeitsüberschreitung wegen Vorsatz verurteilt werden, reichen Vermutungen nicht aus!
Das amtsgerichtliche Urteil war heftig!
Das Amtsgericht Günzburg hatte den Betroffenen am 03.04.2023 wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um (toleranzbereinigt) 51 km/h (§ 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO) zu einer Geldbuße von 960 Euro verurteilt und gegen ihn ein (Regel-) Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG (vorläufiger Vollstreckungsaufschub) angeordnet.
Der Sachverhalt war unstreitig!
Selbst der Betroffene hatte nicht angezweifelt, „in Höhe der Messstelle die zuvor jeweils durch beidseitig insgesamt dreimal aufgestellte Schilderpaare auf 130 km begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit mit gemessenen (mindestens) 181 km/h um 51 km/h“ überschritten zu haben.
Die Mutmaßungen des Gerichts waren inakzeptabel!
Dass das Gericht den äußeren Tatbestand zum Anlass nahm, um Vorsatz zu unterstellen, war dagegen inakzeptabel und führte Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung zwecks neuer Verhandlung und Entscheidung.
In dem amtsgerichtlichen Urteil war unterstellt worden, der Betroffene habe „entweder […] die zulässige Höchstgeschwindigkeit erkannt“, „indem er mindestens eines der sechs aufgestellten Schilder gesehen […] und diese bewusst ignoriert, oder […] die Beschilderung von Anfang an völlig ignoriert und außer Betracht gelassen und gleichzeitig die ihm bekannte Geschwindigkeitsbegrenzung völlig verdrängt“ hat, „so dass er zumindest billigend in Kauf genommen hat, die Geschwindigkeitsbegrenzung massiv zu überschreiten“.
Die Feststellung der Berufungsinstanz war eindeutig!
Dem Bayerischen Oberlandesgericht war das zu dünn. Es sei zwar nicht völlig auszuschließen, dass eine erneute Verhandlung weitere Erkenntnisse zur subjektiven Tatseite bringe, welche die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung hinreichend rechtfertigen könnten. Sicher sei das aber nicht.
Die Möglichkeit, die eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn anordnenden Verkehrszeichens übersehen zu haben, sei daher stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.
In einem derartigen Fall müssen die getroffenen Feststellungen selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat. Bei dem angegriffenen Urteil war dies nicht gegeben.
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts war rechtsfehlerhaft, „da sie auf einer lediglich angenommenen Tatsachenalternativität beruhten, deren Grundlagen lediglich auf Vermutungen beruhten und durch Tatsachen belegt waren.“
Fazit
Wie der Beschluss des Kammergericht Berlin, Beschluss vom 02.08.2023, Az. 3 ORbs 158/23, 3 ORbs 158/23 – 122 Ss 71/23, der Gegenstand des Artikels „Rechtfertigt dichtes Auffahren eine Geschwindigkeitsüberschreitung“ war, zeigt auch diese Entscheidung, dass es für eine Verurteilung mehr braucht, als nur eine Vermutung.
Sollte Ihnen ein vorsätzlicher Verstoß vorgeworfen werden oder sollten Sie gar bereits wegen eines solchen verurteilt worden sein, sprechen Sie mit uns.
Link zum Beschluss: BayObLG München, Beschluss v. 06.09.2023, Az. 202 ObOWi 910/23
Bildnachweis: PublicDomainPictures / Pixabay
(Veröffentlichungsdatum: 19.10.2023)
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